Angizia - Ein Toter fährt gern Ringelspiel

"Ein Toter fährt gern Ringelspiel", so nennt sich das aktuelle Werk (-nunja, es ist schon ein Jahr alt, aber es ist trotzdem Pflicht es zu rezensieren-) der Ausnahmeformation Angizia um Michael Haas alias Engelke. Von der Handlung her knüpft dieses Album an die Vorgänger "Das Schachbrett des Trommelbuben Zacharias" und "39 Jahre für den Leierkastenmann" an. Doch handelten die beiden anderen Stücke vom tragisch-komischen Leben der jüdischen Gauklerprotagonisten, so handelt das Libretto dieses Werkes von deren ebenso makaberen wie irrwitzigen Zeit als lebendige Tote. Michael Haas schuf ein befremdlich-morbides Szenario, eine Art Totentanz. Es wird erzählt wie Totengräber den toten Leierkastenmann entdecken, welcher im Laufe der Handlung sein Köpfchen verliert und dieses zu suchen beginnt. Uns begegnen welke Gestalten wie die Bucklige, der grimmig alte Vladimir, das Schaukelkind und allerhand andere groteske Erscheinungen, die alle ihre tragisch-komische Geschichte mit sich tragen. Die Stimmung schwankt zwischen irrer Heiterkeit und bizarrer Melancholie, zwischen rasanten Fahrten mit dem Ringelspiel und den beklemmend-tragischen und traurigen Momenten im Leben eines "nicht ganz Toten"...

Der Text ist, wie für Michael Haas üblich, meisterhaft grotesk in einer Art Libretto-Dialog verfasst. Neben Haas als Vokalprotagonisten sind, wie auch zuvor, die Sopranstimme Irene Denners, das Rezitativ Jochen Stocks (Dornenreich) sowie der Bass buffo Rainer Guggenbergers vertreten. Zu den Instrumentalisten stoßen erstmals Barbara Rektenwald (Flügel) und Aliosha Biz (Violine). Das Instrumentarium reicht von Klarinette, über Akkordeon, von Schlagzeug bis E-Gitarre und ist gewohnt weit gefächert. Das Namenkollektiv Angizias, fast ausschließlich bestehend aus studierten Musikern, steht einmal mehr für Musik der höchsten Klasse.

Musikalisch bewegen sich Angizia zwischen einer grotesken Mischung aus jüdischer Straßenmusik, Polkarhythmen, Jazz, Moderne, Klassik und sogar Rock bis Metal, wobei besonders die Anteile der Straßenmusik, der Polka und des Jazz vordergründig hervortreten. Insgesamt entwarf das Konzept einen völlig eigenen Musikstil. Die Kombination aus irrwitzigen Rezitativen, stimmstrapazierendem Krächzen und Schreien, opernhaftem Gesang und jener genannten eigenwilligen Mischung aus verschiedenen musikalische Stilen ist definitiv einzigartig, jedoch allerdings nicht für jeden Hörer zugänglich. Doch es ist schön zu hören, dass es ein solch eigenes und widerspenstiges Konzept sich von nichts in Welt beeinflussen lassen würde, seine Musik glatter und unkomplizierter zu feilen.

Zwischen makaberem Witz und beklemmender Melancholie gleiten wir nun in ein finster-fröhliches Szenario:
"Ein Toter will leibhaftig sein und gibt partout nicht Ruhe" krächzt uns Engelke in die Szenerie und schon bald werden wir mit heiterer Jahrmarktspolka und mit viel Getöse und Geschrei in der Mitte grotesker Untoter begrüßt. Rezitative und andere Sprechpassagen leiten uns durch den morbiden Totenacker und so treffen wir nach und nach den altbekannten Spielmann, die Bucklige und andere verfallene Gestalten. Das Schaukelkind reitet sein Pferdchen zu Tode und der Werkelmann ist auf der Suche nach seinem verlorenen Köpfchen. Die Musik schwankt ständig zwischen makaber-heiterer Jahrmarktspolka und ruhig-melancholischen Passagen. Besonders virtuos auffallend sind die kühnen Violin- und Klarinettensoli, sowie das stimmungsvolle Flügelspiel. Nun sind wir dabei wie sich das Mädchen im Prinzessinnenkleid in den Sumpf stürzt und danach zur Hure der lebendigen Toten wird, bis eine Krähe ihr die Schönheit raubt. Das erste tief-melancholische und düstere Stück ist "Liebt dich Range die Dohle", welches dieser beklemmenden Szene einen unwirklich grotesken Schimmer verleiht und den Hörer in der Traurigkeit des Momentes mit seiner Melodie zu fangen vermag. Dann wird das finster-farbige "Leben" der Toten wieder heiter und irrwitziges tanzen und reiten verschafft den Gestalten auf dem düsteren Acker wieder etwas Freude. Doch am Ende scheint die Traurigkeit zu siegen. "Siehst du dein Köpfchen im Spiegel? Nein." der Werkelmann sitzt voll Kummer am Tümpel, sein Köpfchen ist hin und er wünscht sich endlich sterben zu können. Angizia kleideten diese Szene in eine wunderschön finstere Ballade, die einen fast mit dem tragisch-komischen Helden weinen lässt. Am Ende darf der Werkelmann endlich vermodern, doch selbst davon vermag er noch zu singen...

Wer nun einmal Lust hat sich auf diesem befremdlichen, tragisch-melancholischen bis makaber-heiteren Schauplatz einmal umzusehen und sich auf eine ungewöhnliche Geschichte mit noch mehr ungewöhnlicher Musik einlassen will, dem sei Angizias "Ein Toter fährt gern Ringelspiel" wärmstens empfohlen. Kaum eine Formation ist sich selbst so treu geblieben und hat sich auch über die Jahre nie verbiegen lassen. Ein widerborstiges morbid-komisches Meisterwerk!

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www.angizia.com (saf)

Punkte: 14/15