zu Reviews Weidenbaum - Raue Winde und blasse Schwingen

Vor wenigen Monaten erst entführte uns Weidenbaum mit "Nebellieder und Nachträume" auf eine unwirklich düstere Odysee aus schmerzverzerrten Klängen und schwarzen Visionen. In unglaublich kurzer Zeit erwartet uns nun bereits das Nachfolgeralbum mit dem suggestiven Titel "Raue Winde und blasse Schwingen". "Aus Träumen vom ewigen Eis" entsteht eine Winterlandschaft, durch die sich ein noch immer mit dem Schicksal hadernder Mensch wagt, begleitet von einem Greifvogel, der mit seinen Schwingen die frostigen Winde zerteilt. Die Grundstimmung ist eine ganz andere geworden als auf dem Vorgänger; als würden Schnee und Kälte die Düsternis durchdringen und den Suchenden auf neue Pfade leiten. Mitreißend rockige und energiegeladene Passagen ersetzen die so finsteren Ströme, die zuvor sogartig den Hörer in die Tiefe zerrten. Die begeisternde Mischung aus treibend metallischer Härte und lyrisch melancholischen Akustikpassagen ist jedoch voll und ganz erhalten geblieben; sie zeigt sich nun in einer ganz neuen Facette und malt in kalten Farben weite klangvolle Seelenlandschaften.

"Ins Fremde" führt uns der melancholische Opener, auf dem uns bereits erstmals die Stimme des Gastsängers Alvar Eldron (Autumnblaze) begegnet. Sein gefühlvoller Gesang scheint wie geschaffen dafür, sich symbioseartig mit dem intensiven musikalischen Klangraum Weidenbaums zu verbinden. Ebenso vermag er es mit seiner Stimme das perfekte Gegenstück zu Lirtes' mächtigen Growls zu bilden. Um diesen Klang reicher und auch sonst noch intensiver und musikalisch inniger präsentiert sich "Raue Winde und blasse Schwingen" als ein wahres Meisterwerk. Progressiv, innig, metallisch und urgewaltig fließt die Musik, bebildert von naturmetaphorischen deutschen Texten.
Der zweite Titel "Hinfort" reißt uns hart aus der intensiven Melancholie des Openers. Treibend, eingängig und rhythmisch zeigt sich dieser Song sehr Black-/Deathmetallastig. Gleiches gilt zunächst auch für den dritten Song "Letztlich fallen alle". Doch dieser driftet ganz Weidenbaum-typisch von der metallische Härte in eine verklärte und melancholische Traumwelt, die anschließend wieder durch den überaus mitreißenden Refrain in die Extreme gerissen wird. Herrausragend ist besonders die melodische Inovation und Qualität, die sich in den Gitarren eindrucksvoll niederschlägt, sowie Lirtes' untrügbares Gefühl für prägende Rhythmen.
"Im Herzen des Sturms", ebenfalls ein sehr treibendes Stück, besticht besonders durch die suggestive Struktur des Refrains, der fragend die Worte "Hast du...hast du...nie gelebt?" dem Hörer auf die Lippen legt. "Hinfort", "Letztlich fallen alle" und "Im Herzen des Sturms" zeigen eine ganze neue Seite an Weidenbaum, nämlich das Vermögen Liedgut zu erschaffen, das derart mitreißend und suggestiv wirkt, dass ein leises Mitsingen beim Hören schon fast natürlich ist und den Hörer zum Teil der Musik werden lässt.
Das fünte Lied "Auf blassen Schwingen" weißt ein besonders groovendes Fundament auf und wird teilweise durch regelrecht doomartige Passagen durchdrungen. Zum zweiten Mal begegnet uns hier der Gesang Alvar Eldrons, doch ganz dezent wie eine Art Backgroundgesang und nicht so dominant wie beim Opener. "Von Winde besessen" taumeln wir nun zurück in tiefste Melancholie. Akustische Klänge entführen uns und Alvar Eldron erscheint wieder als lyrischer Leadsänger. Doch bald schon brechen brachiale metallische Härte und Lirtes' Growls in dieses zarte Gewebe. "Fühlst du die sanfte Briese, die streichelt durch dein Haar...sie wird zum Sturme werden und dir folgen Jahr für Jahr!" Dieser Wechsel zwischen sachtem Wind und rauem Sturm bestimmt das ganze Lied und macht es zu einem schaurigen Wechselbad der Gefühle, um zuletzt wieder in träumerischer Melancholie zu verklingen. Ein herausragend inniges Stück! Melodisch erzählend führt uns das erste Riff des siebten Songs auf "Sternlose Wege". Aggressiv und hassverzerrt durchdringen die Growls die treibende schwarzmetallische Musik, immer wieder zerklüftet von gelungenen Breaks. Auf klagende Gitarren und aggressive Parts folgt letztlich eine ruhige von Flüstern getragene Passage, leis unterlegt von dem so narrativen Anfangsriff. Die nahezu erzählende Instanz in Form der Gitarren, die oft mehr zu sagen wissen als jede menschliche Stimme, ist ebenfalls als besonders typisch für die Musik Weidenbaums zu vermerken.
Den krönenden Abschluss der metallischen Reise auf "Raue Winde und blasse Schwingen" bildet "Der Ruf der Schwingen", ein Stück das wieder sämtliche Elemte der vorherigen Lieder in sich aufgesogen hat. Alvar Eldron ist hier nochmals eindrucksvoll zu hören; melancholische Gitarren, leuchtende Melodien, metallische Stürme und akustische Passagen durchdringen sich und werden zu einer perfekten Mischung aus Klang, Gefühl und Energie. Ein Stück das neue Tore öffnet und auf noch mehr überirdisch schöne Klänge hoffen lässt.

Und diese Klänge bekommen wir! Wie auch zuvor auf "Nebellieder und Nachträume" beschließt Lirtes (Komposition, Instrumente, Growls, Flüstern, Programmierung und Aufnahme) seine Komposition mit einem orchestralen Medley, das nochmals all die leuchtenden Riffs und Motive in großer klassischer Instrumentierung aufarbeitet. Mit dieser Technik eröffnet er dem Hörer wiederum einen ganz neuen Klangraum und zeigt einmal mehr, wie vielfältig und Genreübergreifend Musik, Rhythmus und Melodie sein können. Diese Arbeitsweise gelingt ihm mit solcher intuitiver Stilsicherheit für Instrumentierung, Dynamik und Klang, dass er ohne weiteres in der Lage wäre einem großen Film auf diese Weise Klang zu verleihen. In unendlicher Farbtiefe gelang es ihm einmal mehr seinem digitalen Orchester lebensechte Dynamik, Lebhaftigkeit und Innigkeit zu entlocken und dies mit einer musikalischen Versiertheit die ihresgleichen sucht.

Angesichts dieses Werkes fiel es mir schwer die richtigen Worte zu finden. Es ist in jeder Hinsicht herausragend, mitreißend, intensiv, farbig, dynamisch, kraftvoll und emotional. Die Vielfalt der Klänge ist nicht in Worte zu fassen und daher kann ich nur nachdrücklich empfehlen selbst zu hören und damit Teil dieses Klangkörpers zu werden. Ohne Frage eines der besten Alben das ich seit langem hören durfte...

Punkte: 15/15

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www.weidenbaum-metal.de


(saf)