zu Reviews Weidenbaum - Nebellieder und Nachträume

Nach vielen Jahren harter unermüdlicher Arbeit, stetiger Steigerung und Weiterentwicklung können wir nun erstmals einem Werk des Metal-Projekts "Weidenbaum" lauschen. In jeder Hinsicht handelt es sich dabei um ein Ausnahmephänomen. Lirtes, der Künstler hinter dem Namen "Weidenbaum", agiert als Einzelperson als Komponist, Poet, Sänger, Schlagzeuger, Gitarrist, Bassist und Tontechniker. Ein mancher mag glauben, dass dieser Sachverhalt eher dazu beizutragen vermag, dass die ein oder andere Aufgabe mangelhaft ausgeführt werden würde, doch in diesem Fall wäre eine solche Annahme ein absoluter Irrtum.

Sowohl musikalisch, instrumental, lyrisch und aufnahmetechnisch handelt es sich bei "Nebellieder und Nachträumen" um ein Kunstwerk in nichtgeahnter Perfektion und beachtlicher Qualität. Mit rassanter Brachialität wird der Hörer wie in einem Sog in das düstere Innere einer zerrissenen Seelenlandschaft gezogen und wird Zeuge eines Kampfes zwischen lyrisch poetischer Melancholie und der zermürbenden Gewissheit finsteren Leides. Heftige emotionale und bildhafte Lyrik trifft auf metallische Klänge von grausamer Härte, immer wieder zerklüftet von irrlichthaften akustischen Passagen, die irgendwo zwischen Melancholie und Hoffnung in der Finsternis aufleuchten. Mitreißende Rhythmen mischen sich mit schwarz-melodischen Gitarren und rauhen Growls.

Musikalisch ist das Ganze tendenziell irgendwo zwischen Black-, Death- und Darkmetal anzusiedeln, durchdrungen von folkigen akustischen Passagen und, im letzten Track, abgerundet von einem sinfonischen Medley klassischer Art.

Beim Anfangstrack "Was wird?" fällt besonders die brachiale Geschwindigkeit auf, mit der der Hörer ins Innere des Seelenkampfes gezogen wird. Es handelt sich um ein intensives schwarzmetallisches Stück, das als Opener gut gewählt in die Materie einzuführen vermag. Melodische Gitarren und eingängige Growlpassagen geben der Härte und Geschwindigkeit die nötige Tiefe. Dialogartig und intensiv wird die innere Zerrissenheit inszeniert, die durch unterschiedliche Stimmgebung - Growls vs. Flüstern - verdeutlicht wird. Ein beklemmendes und kraftvolles Stück, das irgendwo im Inneren die eigenen Dämonen beim Hörer zu wecken vermag. Entfremdung, Selbstfindung und der ewige Kampf zwischen dem Ich und dem Nichts lodert auf. Als nächste Woge überspühlt uns "Wenn die Welt nicht mehr wär'", in welchem Lied noch deutlicher und greifbarer der innere Schmerz des Kampfes zwischen Sein und Nichtsein deutlich wird. Rhythmisch besonders interessant erscheint hier das Schlagzeug, das im ganzen Album als eine Art Spiegelbild der inneren Unruhe des lyrischen Ich zu fugieren scheint. Eine erste akustische Passage durchbricht, wie ein retardierendes Moment, den Nebel, um noch tiefer "in das Sternenmeer" zu stürzen, um letztlich nur noch zu wünschen, dass "die Welt nicht mehr wär'".
"Was ewig währt" befasst sich mit dem Teufelskreis der Erinnerung und lässt trotz anhaltender Brachialität wieder sehr klare Melodien und Rhythmen durchblicken. Der ungeheure Sog hält an um jäh in eine verträumt leise akustische Passage von unwirklicher Lyrik und Schönheit zu versinken, die wie ein Bild der schönen Erinnerungen voller Melancholie in uns zu dringen vermag. Doch auch diese traumartige Sequenz wird wieder mit der Brutalität der Realität zerrissen und wir dringen tiefer, immer tiefer in eine Odysee in der jeder "Traum zu Staub zerfällt".
Dies endet in schierer "Verzweiflung", die melodiös und noch immer in beachtlichem Tempo zelebriert wird. Man kann den Hass und die ersterbende Hoffnung in diesem Stück fast körperlich spüren...
um letztlich zu "Erwachen". Ein wiederum sehr rasches brachiales, doch auch vielseitiges Stück. Mit "Erwache aus deinem tiefen Schlaf" zwingt sich das lyrische Ich der Realität in die Augen zu blicken. Der Alptraum dringt immer mehr ein in die Realität.
"Es war alles doch nur ein Traum"? "Laubtod" ist ein Stück der Extreme, in dem schnelle brachiale Passagen, doomartigen lyrischen Passagen direkt gegenübergestellt werden. Die Grenzen zwischen (T)raum und Wirklichkeit verschwimmen einmal mehr "von Laub bedeckt". Das Ich entflieht zurück ins "Träumerland", einem grauen schattenhaften Ort wo der geplagte "für alle Ewigkeit gefangen in der Nacht" als eine Art Untoter zu wandeln gedenkt. Doomklänge treffen auf schnellen Blackmetal, gefolgt von einer ruhigeren Passage, die den unwirklichen Ort, "die Dichte Schwärze" perfekt zu verkörpern scheinen.
Organisch abgeschlossen wird der metallische Teil vom "Nebellied", dem meines Erachtens suggestivsten und bildhaftesten Stück des Albums. Das Tempo geht nun zurück und die Gitarre übernimmt getragene erzählende Melodien, die unwirklich schönen Melodien des Nebels. Darauf finden akustische Gitarre und Percussion Einsatz und intensivstes Flüstern entführt uns in die tiefe des seltsam traurig-schönen Nebels. Doomartig hallen die Riffs, um wieder von leisen und innigen akustischen Passagen durchdrungen zu werden, die ein ganzes Leben zu erzählen scheinen. Das Nebellied hat den Charakter einer eigenen kleinen Sinfonie, voller poetischer Bilder und melancholisch trauriger Erinnerung, doch auch die Härte der übrigen Lieder dringt durch den Nebelschleier. Auch erstmals cleane Vokals kann man am Ende der Odysee erkennen, es erscheint wie eine bleicher Erlösung von einem Irrweg aus Leiden. Ein ungeheuer inniges Stück, das sowohl zum Sinnieren anregen, als auch zu Tränen rühren kann. "Hörst du das Nebellied?"
Diese ganze brachial-emotionale Odysee aus Leid, Nacht, Schmerz und blasser Hoffnung wird zum Abschluss thematisch in einem sinfonischen Stück verarbeitet. Liebevoll und ungeheuerlich dynamisch wusste Lirtes seine Motive mit klassischen Mitteln umzusetzen. Allein der Orchestrierarbeit gebührt äußerster Respekt, ebenso der in Kleinstarbeit ausgeführten Arbeit den Orchestersamples Leben einzuhauchen. Traumartig und tief wie Filmmusik ziehen die Eindrücke aus der metallischen Irrfahrt nun an uns vorbei, um zuletzt auch in den letzten Winkel unserer Einbildungskraft vorzudringen und alles mit innigem Klang zu füllen.

Atemlos ist man nach dieser synästhetischen Erfahrung aus finsteren Nebel- und Nachtfarben, körperlich spürbarem Leid und packenden Klängen. Ich kann euch allen nur empfehlen euch ebenfalls auf die Reise durch "Nebellieder und Nachträume" einzulassen. Eine Reise, die alle Sinne und die tiefsten Abgründe weckt.

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www.weidenbaum-metal.de


(saf)