Das Glückswald-Interview

Der Frühling rückt mit Schneckentempo in die Täler und es wird mal wieder Zeit für ein Interview. Diesmal habe ich das Vergnügen mit dem Gezeitenfürst (auch bekannt als Rami Akkad, seines Zeichens Komponist, Texter und Vokalist) von der ungewöhnlichen Formation "Glückswald" zu sprechen. Viel Spaß!

Sturm und Stille:
Ich grüße dich, Gezeitenfürst und hoffe wir erfahren heute ein wenig Neues über deine Band "Glückswald" :) Ich denke man liegt nicht falsch wenn man "Glückswald" als durchaus unkonventionelle Band bezeichnet: Groteske Dialoge werden eifrig-komisch über eine Mischung von stimmungsvollen Klängen und Melodien rezitiert und entführen in eine wirre, traumartige Welt. Diese Stimmung wird sowohl musikalisch, als auch lyrisch und visuell konsequent umgesetzt... Wie entstand diese Idee eine solche Musik zu machen und wie kam es dann letztendlich zur Gründung von "Glückswald"?

Gezeitenfürst:
*Salida!*
Nun, das ist nicht so leicht zu beantworten. Die Idee zu diesem Projekt kam mir irgendwann im Sommer 2003...also schon eine ganze Weile her. Aber wie bereits gesagt: Es handelte sich damals nur um die Idee. Ich habe dann Ende 2003 angefangen, das eine oder andere Lied zu schreiben und so schnell ein paar Lieder samt Gesang fertig gestellt. Diese habe ich dann Ende 2003 / Anfang 2004 zunächst als "Gratis Demo" zum Downloaden auf die Homepage gestellt. Die Resonanz war überraschend: Ziemlich viele fanden die Mischung, die ich damals gemacht hatte, sehr interessant und wollten mehr. Nachdem ich Glückswald erst mal aufgrund diverser anderer Projekte und aufgrund privater Dinge einschränken musste, setzte ich mich ab Mitte 2005 noch mal hin und fing mit einem neuen Konzept an. In diesem wollte ich das alte Konzept mit etwas Neuem mischen. Ich wollte hart sein, ohne dabei wirklich Gitarren oder irgendwelche Industrial Samples zu benutzen...und so entstand dann langsam Glückswald. Ich verwende zwar hier und da mal wieder Session Musiker, aber eigentlich besteht das Projekt nur aus mir und Nourdath, der leider aufgrund seiner Arbeit auch nur eingeschränkt Zeit dafür hat.


Sturm und Stille:
Nach ersten Konzerten und eurem Demo "DarbietungsZeremonie" habt ihr nun über dein neugegründetes Label "Tenebrae Records" euer erstes Album "Geschichten aus Tenebrae" veröffentlicht. Was erwartet den Hörer bei diesem Werk und was steckt hinter dem Konzept?

Gezeitenfürst:
Dem Hörer erwartet kurz und knapp gesagt Musik und etwas neues in der Musik. Er muss sich dafür stark öffnen und bereit sein, etwas anderes wahrzunehmen. Wem eine CD bei erstmaligem Hören nicht gefällt und er danach sofort die Finger davon lässt, wird damit nichts anfangen können.
Zudem sollte der Hörer gewillt sein, sich nackt auszuziehen und dabei der Musik zu lauschen. Am besten im Wald. Nur so entfaltet die Musik ihre wahre Magie und das hörende Individuum darf völlig frei und wild mit der CD in der Hand vor Freude rumspringen.

Zum Konzept: Das Album heißt (passend zum Label) "Geschichten aus Tenebrae". Tenebrae ist lateinisch und bedeutet "Dunkelheit". Wer jetzt an klischeehaften Deprischeiß denkt, liegt hier falsch, da sich das ganze in einer eigenen Welt abspielt, nämlich in "Tenebrae". Denn in dieser fand ein Kampf der vier Naturtitanen (Feuer - Erde - Luft - Wasser) statt, der die Sonne für immer verschwinden ließ. Es ist sozusagen ein Konzept derart, dass jedes Lied eine Geschichte dort erzählt. Im Intro und ersten Lied z.B. ("Die Halle des Stratos") geht es um einen Menschen, der gesündigt hat, beim Bergkönig Stratos seine Beichte abgibt, dieser ihm jedoch nicht verzeiht und ihm ein Schweigejahr aufzwingt. Der Mensch, stur wie er ist, verweigert dies. So stellt ihm Stratos eine Auswahl zwischen einem Jahr in Schweigen oder einem Leben in Tenebrae. Der Mensch entscheidet sich für Tenebrae, wohin er sofort verbannt wird. Seine Ankunft wird durch einen Marsch und Musik begleitet.
Um das alles noch mal kurz zu fassen: Es geht mir schlicht und einfach darum, den Hörer zu fassen, ihn aus seiner Umgebung rauszulocken und in eine andere Welt zu stecken, in die er sich dann verliert. Sie soll so lebendig sein, wie seine eigene.
Hinzu muss der Hörer feststellen, dass es nichts Ernstes und nichts Komisches gibt.
Alles hat Zusammenhang und somit ist auch alles, selbst das eigene Leben, eine krass lustige Komödie.


Sturm und Stille:
Oft stecken viele inspirierende Quellen hinter einer Komposition. Von welchen Dingen lasst ihr euch inspirieren und welche Musiker würdet ihr als euren musikalischen Einfluss benennen (falls es solche Musiker gibt)?

Gezeitenfürst:
Ich selbst lasse mich durch fast alles inspirieren...vor allem von den Dingen, die in meiner unmittelbaren Umgebung und mit mir selbst passieren. "Disaster of Love" z.B. entstand mit dem Hintergedanken, die jedem bekannte "Hassliebe" zwischen zwei Menschen zu vertonen. Ich habe selbst so etwas miterlebt und ich muss zugeben, dass mich so etwas sowohl stark fasziniert, als auch stark belustigt hat.
Zum Einfluss: Die Frage müsste eher lauten: "Welche Musiker brachten keinen Einfluss?"
Natürlich gibt es hier und da die und jene Band, die mich selbst stark fasziniert hat. Und ich kann auch nicht leugnen, dass ich sicherlich von vor allem befreundeten Bands (z.B. Grabnebelfüsten oder Haggard) mir wenigstens unterbewusst irgendwo irgendwas abgeschaut haben könnte...das ist immer möglich. Trotzdem versuche ich, was eigenes und neues zu kreieren. Im übrigen stört es mich sehr stark, wenn irgendwelche homosexuellen HOMOS meine Stimme mit der Evigas von Dornenreich gleichstellen. Ja..irgendwie sind da manchmal schon starke Ähnlichkeiten (vor allem im Flüstergesang), aber HEY: Ich orientiere mich hier nicht an DORNENREICH, sondern vielmehr am Gesang von Arnold Schönbergs Zwölftonmusik (nach der sich im übrigen Bands wie Dornenreich oder Angizia sicherlich auch orientiert hatten)!

Achja, bevor ich es vergesse: Ich selbst höre eigentlich alles, was mir gefällt. Und meine "Lieblingsband" (oder wie man das nennen mag) ist "Asian Dub Foundation" aus England. Eine Mischung von Reggae / Dub / Rock und zu meinen Favoriten gehören Idole wie Madonna oder Donna Lewis. Aus dem HipHop Bereich (ja! Ich höre UNTRUEN HIPHOP) kann ich vor allem bei "DarbietungsZeremonie" Einflüsse von "Mc Basstard" oder "Die Firma" nicht leugnen.


Sturm und Stille:
Nochmal zum Stichwort "Arnold Schönberg". Auch ich (wie auch Plattformmusiker Daron von "Sigrah") bin ein glühender Verehrer Arnold Schönbergs und ehrlichgesagt finde ich bei "Glückswald" durchaus mehr Parallelen zu dessen Werken, in seiner atonalen Schaffensphase, als zur Musik Dornenreichs oder Angizias. Ich finde es toll und mutig sich von seiner Musik inspirieren zu lassen, gerade weil so wenige Leute (in meinem Musikleistungskurs war ich die einzige) Zugang zur atonalen Musik finden können. Wie bist du zum ersten Mal in Berührung mit der Musik von Künstlern wie Arnold Schönberg gekommen?

Gezeitenfürst:
Ich kam damals in der Schule durch meinen hervorragenden Philosophie und Musiklehrer zu Arnold Schönberg. Wir hatten ein Semester lang experimentelle Musik. Darunter auch Minimal Music (John Cage, Steve Reich, etc.), durch diese bin ich dann irgendwie (teils auch schulisch) zur 12 Ton Musik von Arnold Schönberg gekommen. Es ist wirklich oftmals sehr schwer, Zugang zu solcher Musik zu finden. Man muss sich ganz auf sie einlassen und sich selbst dafür öffnen. Mit einem Skalpell.


Sturm und Stille:
"Glückswald"-Musik besteht, soweit ich dies akustisch wahrgenommen habe, hauptsächlich aus elektronischen Midiklängen. Wie entsteht denn der typische "Glückswald"-Song und auf was legt ihr beim Songwriting wert?

Gezeitenfürst:
Ja, das stimmt. Das meiste in Glückswald ist elektronisch produziert. Es handelt sich jedoch nicht nur um Midiklänge, sondern auch um sehr viele Samples.
Es gibt keinen "typischen Glückswald-Song"! Ich mache meistens das, wonach mir gerade ist und wenn mir gerade nach Soprangesang ist, dann singe ich irgendwie Sopran!
Womit die Frage beantwortet sein durfte: Ich lege den meisten Wert auf die Spontaneität der Musik, denn nur dort entsteht das "magische", das die Musik lebendig lassen scheint. Alles andere wäre mir noch gekünstelter, als es eh schon irgendwie alles ist.
Der "typische Song" entsteht also aus einer Laune heraus. ZakMCommando Kracken entstand z.B. aus einer Idee, die ich mitten im Schlaf hatte. Ich bin dann irgendwie sofort aufgewacht und habe den Song dann gemacht. Einen Tag danach war er komplett fertig und viele Menschen hörten ihn nackt im Wald.


Sturm und Stille:
Apropos, nackt im Wald ;): Auf mich wirkt "Glückswald" auch in einem Maße heiter und grotesk-komisch,was zwischen all den Formationen, die sich übertrieben ernst nehmen, sehr erfrischend wirkt. Wie würdest du deinen/euren naturgegebenen Hang zur Komik beschreiben?

Gezeitenfürst:
Komik ist alles! Komik ist das wichtigste der Welt! Ohne Komik wären wir machtlos und depressiv!
Es ist mit das allerwichtigste beim Hören von Glückswald, dass man das alles nicht wirklich allzu ernst nimmt. Und glaubt mir: Das ist eine schwere Aufgabe in dieser heutigen Zeit, vor allem in der Musik, wo jeder fast alles irgendwie ernst nimmt.
Oder will man so enden wie diese ganzen abgespasteten BMler, die sich vor ERNSTHAFTIGKEIT fast schon in die Hose machen?
Zudem ist, wie bereits erwähnt, das gesamte Leben eine Komödie!
Man hat die Wahl: Entweder man WEINT oder man LACHT!
Es gibt nichts anderes.
Punkt.


Sturm und Stille:
Oft steckt hinter einer Band ein bestimmtes Ziel oder das Verlangen etwas Bestimmtes Kund zu tun. Gibt es derartige Hintergründe auch bei "Glückswald" und wenn ja welche?

Gezeitenfürst:
Die Weltherrschaft.


Sturm und Stille:
Na, gerne doch ;).Mit der Gründung von "Tenebrae Records" hast du nun eine Plattform geschaffen "Glückswald" und andere Projekte (derzeit auch unser Forenprojekt "Jahresringe") zu vermarkten. Genießt du die Freiheit dein eigenes Label zu haben, oder vermisst du manchmal dir Zugehörigkeit zu einem größeren Label, das euch mehr Unterstützung entgegenbringen könnte?

Gezeitenfürst:
Ich genieße die Freiheit!
Es geht mir bei Tenebrae Records vor allem darum, kleineren Bands, die überhaupt gar keinen Ansatz oder keine Ahnung haben, wie sie ihre Platte auf den Markt bringen, unter die Arme zu greifen. "Jahresringe" habe ich z.B. in den Shop integriert. Ich wollte Stefan, ein mittlerweile ziemlich guter Freund von mir, helfen! Ohne dabei Geld zu verlangen oder Gewinn daraus zu erzielen!
Und zwar in alle Richtungen! Wir beschränken uns hier nicht nur auf Metal, Gothic oder "Fun Musik"! Auch Leute aus der HipHop oder von mir aus auch Soul Branche sind willkommen. Für eine eigene Produktion jedoch verlange ich nur, dass der Künstler mir beweist, dass er das Potential hat, die Menschen irgendwie zu begeistern.
Alle Rechte bleiben natürlich beim Künstler. Wir wollen niemanden abzocken. Ich werde bald im übrigen eine Kompilation via Tenebrae Records ansteuern. Mehr dazu in den kommenden Monaten.

Und ja: Natürlich wäre es schön, wenn ich bei Sony oder bei was weiß ich BMG wäre! Das wäre in der Regel auch kein Problem..jedenfalls nicht für die Verkaufszahlen, da irgendwer immer irgendjede Scheiße kauft, egal, ob es nun herausragende Kunst oder sonst wie pseudo- oder non-pseudo-Dreck bzw. non-Dreck ist: 20% der Hörerschaft findet ALLES geil und kauft ES. Das ist so. Das wäre auch bei Glückswald nicht anders. Denn Musik hat leider kaum noch etwas mit Qualität zu tun, vielmehr mit Image, Vermarktung und Promotion. Ich möchte hier jetzt nicht genauer darauf eingehen, da ich selbst auch einige Geheimnisse wahre, welche ich für einige Dinge verwenden möchte. Genauer gesagt: Ja, die Vorzüge eines größeren Labels sind schön und toll. Bringen aber nix, wenn man kein größeres Label hat.
Und statt nun tausend Jahre auf ein Label zu warten, so gründe ich selber schnell eins. Da haben nun Sony und BMG erst mal Pech (oder auch Glück?) gehabt!


Sturm und Stille:
Wie geht es nun nach eurer Veröffentlichung von "Geschichten aus Tenebrae" weiter? Sind eventuell bereits Konzerte und neue Projekte in Planung?

Gezeitenfürst:
Es ist schon das nächste Album mit dem Titel "Das Metallene Zeitalter" in Planung. Der Titel und die Thematik des übernächsten Albums ist auch bereits besiegelt! Es handelt sich wirklich nur noch darum, wie und wann ich selbst die Motivation und die Zeit dafür finden werde! Und natürlich noch Musiker! Ich brauche Musiker!! Ich bin für jeden, der sich (egal wo er wohnt..im Zeitalter des Internets geht ja fast alles!) meldet dankbar! Am besten gleich ein ganzes Orchester!
Bleiben wir jedoch bei der Realität: Für Konzerte sieht es eher schlecht aus, da Glückswald konzerttechnisch "anders" funktionieren wird, als man es von den meisten Bands her kennt..es wird kein stupides Geglotze und Gehöre werden. Die Hörerschaft wird integriert. Sie bekommt vermittelt, dass die Charaktere, in welche wir von Glückswald schlüpfen werden, nur dann existieren, wenn SIE zuhören...das Publikum unterschätzt seine Wichtigkeit massiv.
Aber wann und wie das ganze nun wo stattfinden wird, steht noch in den Sternen.
Einige kleinere Konzerte gab es bereits. Diese liefen nach ähnlichem Muster ab, in den meisten Fällen kam dies eher schockierend an (es führte bei einer Location sogar aufgrund eines Ausrasters von mir zu dauerhaftem Konzertverbot).
Neue Projekte sind wieder in Planung und ein bisher Acapella Projekt von mir wird eventuell auch bald online und mit erster Demo der Nacktheit der Masse präsentiert werden.
Seid gespannt, BOYS AND GIRLS!


Sturm und Stille:
Ich danke dir für die unglaubliche Energie die du hier beim Beantworten der Fragen an den Tag gelegt hast und für dieses wirklich informative Interview. :)

Zurück

Homepage und Vertrieb:
www.glueckswald.de/
www.tenebrae-records.com/

(saf)